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Chance auf eine Hoffnung bei Nervenlähmung

Neue Therapie für seltene familiäre ALS-Form erstmals in NRW am Universitätsklinikum Bonn durchgeführt

Bonn, 03. November 2022 – Plötzlich sah sich Sonja E. im vergangenen Jahr mit der Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) konfrontiert. Nach einer kurzen Ärzte-Odyssee wandte sich die heute 38-Jährige an die Motoneuronambulanz des Universitätsklinikums Bonn (UKB), einem der wenigen spezialisierten Zentren in Deutschland. Dank der Expertise konnte eine für die fortschreitende Muskellähmung ursächliche Mutation in einem Gen, hier das SOD1, identifiziert werden. Etwa zwei Prozent aller Menschen mit ALS haben diese Veränderung der Erbanlage, die ein potentieller therapeutischer Ansatzpunkt ist. Somit kann Sonja E, bei der die Nervenkrankheit einen extrem schweren Verlauf nimmt, im Rahmen eines Härtefall-Programms das noch nicht zugelassene Präparat Tofersen erstmals auch am UKB erhalten. Es ist speziell für diese erbliche Form der ALS entwickelt worden und erste Studienergebnisse zeigten einen positiven Trend zur Verlangsamung der ALS.

Es begann im Juni 2021 mit Lähmungserscheinungen, die sich für Sonja E. anfangs anfühlten wie Muskelkater. Denn bei einer ALS gehen Nervenzellen, die Befehle an die Muskeln übermitteln, nach und nach zugrunde. Dies ist ein nicht mehr umkehrbarer Prozess, der sich meist als erstes mit Muskelschwäche und Muskelschwund in den Armen oder Beinen äußert. „Die Krankheit, so hinterhältig wie sie ist, nahm bei meiner Frau einen extrem schnellen Verlauf“, sagt Felix E. Schon bald war Sonja E. auf einen Rollstuhl und ein Beatmungsgerät angewiesen. Obwohl ihr Vater an ALS erkrankt und kurz darauf verstorben war, hoffte sie anfangs noch auf eine andere Erklärungsmöglichkeit. Als sie im Oktober 2021 Hilfe an der Klinik für neurodegenerative Erkrankungen am UKB suchte, konnte sie noch Schreiben und ohne Sprachcomputer Sprechen. „Bei unserer Patientin war eine genetische Belastung wahrscheinlich, aber die genaue Mutation war nicht bekannt. Uns ist es mit Kollegen der Humangenetik Bochum dann innerhalb eines Monats gelungen, eine neue Mutation im SOD1-Gen nachzuweisen. Dies war ein sehr wichtiger Schritt, denn genau für diese Mutation stehen erste experimentelle Therapieansätze zur Verfügung“, sagt PD Dr. Patrick Weydt, Leiter der Motoneuronambulanz am UKB.

Schädliche Veränderungen in der Erbanlage stoppen

Dazu gehört auch das neuartige Präparat Tofersen. Es ist das erste so genannte ASO-Präparat, das speziell für die ALS-Therapie entwickelt wurde. Diese Medikamenten-Gruppe schaltet krankheitsverursachende Genabschnitten aus und wirkt so im Fall von Tofersen einer Vervielfältigung der schädlichen SOD1-Mutation entgegen. Voller Hoffnung wollte Sonja E. mit ihrem Mann Ende letztes Jahr nach Kanada fliegen, um an einer großen Studie teilzunehmen. „Doch wir bekamen diese Chance nicht, denn meine Frau war bezüglich der Atmung zu stark eingeschränkt“, sagt der 40-Jährige. In den ersten drei Monaten im Jahr 2022 ging es Sonja E. jeden Tag schlechter bis hin zur künstlichen Beatmung bevor der Krankheitsfortschritt eine Pause einlegte. Seit Mai 2022 bekommt sie im Rahmen eines speziellen Härtefallprogramms die erste Behandlung mit dem Präparat Tofersen in NRW am UKB. „Es ist der große Lichtblick in dieser dunklen Zeit. Wir und die Therapeuten sehen leichte Verbesserungen. So ist ihre Beweglichkeit links ein Stück weit zurückgekommen, aber ohne Kraft“, sagt der Vater von drei Kindern im Alter von fünf, sieben und acht Jahren. Jedes hat ein 50 Prozent hohes Risiko, die Mutation geerbt zu haben. Daher hofft Felix E. für die nächste Generation, dass ALS nicht mehr als unheilbar gilt, und für seine Frau hofft er zumindest auf eine Entschleunigung dank Tofersen: „Meine Frau und ich sind ein kleines Rädchen, um ALS auf die Schliche zu kommen.“

Der behandelnde Arzt Weydt ergänzt: „Unsere Patientin hat einen extrem schwerwiegenden Verlauf. Es ist daher bemerkenswert, dass sich, wenn auch mit einer Verzögerung nach Behandlungsbeginn eine leichte Verbesserung einzustellen scheint.“ Zusammen mit seinem Team betreut er ALS-Patienten hauptsächlich aus NRW und Rheinlandpfalz, aber auch bundesweit sowie aus Belgien, Frankreich und Nahost. Es ist die größte universitäre ALS-Ambulanz in NRW und unter den Top 5 bundesweit. Zudem wurde ein Forschungsprogramm aufgebaut, das einen Beitrag zum besseren Verständnis des Krankheitsverlaufs leisten und somit Wege zu ALS-Medikamenten aufzeigen soll. Aktuell werden vier Therapiestudien und drei Beobachtungsstudien durchgeführt. „Doch der Ansatz, dem die Behandlung mit ASO-Wirkstoffen zugrunde liegt, ist bisher der vielversprechendste, der mir in meiner Karriere begegnet ist. Daher bin in ich verhalten optimistisch, dass wir mit Tofersen den Verlauf der ALS günstig beeinflussen können“, sagt Weydt. Eine Einschränkung sieht er darin, dass nur die Motoneurone, also die Nervenzellen, welche die Muskulatur mit Reizen ansteuern, aber nicht der Muskel selbst von dem Präparat erreicht wird. „Vielleicht könnte man so noch deutlichere Effekte erreichen. Auch scheint sich abzuzeichnen, dass nicht alle Betroffene gleich auf diese Behandlungen reagieren. Wir wollen aber unbedingt Therapien für alle ALS Patienten und nicht nur für einzelne Sonderfälle entwickeln, so ermutigend diese Fälle auch sein mögen.“

Bildmaterial:

Bildunterschrift 1: Therapie mit Tofersen erstmals in NRW am Universitätsklinikum Bonn: Fachärztin Rachel Fabian appliziert Tofersen bei der ALS-Patientin Sonja E. mittels einer intrathekalen Gabe (Lumbalpunktion).

Bildunterschrift 2: Therapie mit Tofersen erstmals in NRW am Universitätsklinikum Bonn: Das ALS-Team der Motoneuron-Ambulanz: Leiter PD Dr. Patrick Weydt, ALS-Lotsin Andrea Gasper, Fachärztin Rachel Fabian und Medizin-Studentin Saman Barakat
Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn / Motoneuronambulanz

Pressekontakt:

Dr. Inka Väth
Medizin-Redakteurin
Stabsstelle Kommunikation und Medien am Universitätsklinikum Bonn
Telefon: +49 228 287-10596
E-Mail: inka.vaeth@ukbonn.de

Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB werden pro Jahr etwa 500.000 Patient*innen betreut, es sind 8.800 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,5 Mrd. Euro. Neben den über 3.300 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr weitere 580 Frauen und Männer in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht im Wissenschafts-Ranking auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW, weist den dritthöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf und hatte in den Corona- Jahren 2020 und 2021 als einziges der 35 deutschen Universitätsklinika einen Leistungszuwachs.

 

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