Schlüssel zur fälschlichen Aktivierung des Immunsystems
Studie: Virale RNA-Sequenzen in unserer Erbinformation führen zur Interferon getriebenen Autoimmunität
Bonn, 8. November 2022 – Das angeborene Immunsystem bekämpft Infektionserreger. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Alarmbotenstoff Interferon. Wird es jedoch unkontrolliert ohne Infektion gebildet, kann es zu einer Autoimmunerkrankung führen. Forschende des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und der Technischen Universität (TU) Dresden haben am Beispiel des Aicardi-Goutières Syndroms, einer seltenen Autoimmunerkrankung, den zugrundeliegenden Mechanismus untersucht und entschlüsselten die treibende Kraft für die unkontrollierte Interferon-Produktion. Die Studie ist jetzt im Fachmagazin „Journal of Experimental Medicine (JEM)“ erschienen.
Erkennt unser angeborenes Immunsystem mittels Sensoren virale Erbinformation, wird der Alarmbotenstoff Typ I Interferon gebildet. Es ist ein sehr starker Aktivator von Immunzellen, daher essentiell bei der Abwehr vieler Krankheitserreger, nicht nur von Viren. Wird jedoch Interferon zu viel oder zu lange produziert, attackiert das überaktivierte Immunsystem gesunde Zellen – ein Kollateralschaden der eigentlich guten Immunantwort. Zudem sehen die viralen Erbinformationen für die Sensoren größtenteils so aus, wie unser eigenes genetisches Material DNA und RNA. Um aber eine fälschliche Erkennung des eigenen Erbmaterials zu verhindern, gibt es Sicherheitsmechanismen in jeder Zelle. Versagen diese, kommt es zu Interferonproduktion ohne Virusinfektion. Diese sterile Infektion kann das angeborene Immunsystem aktivieren. Folge sind beispielsweise Kollagenosen wie systemischer Lupus Erythematodes (SLE). „Erkrankungen wie Lupus können nur schwer untersucht werden, weil viele Gene daran beteiligt sind. Aber der Mechanismus der Interferon-Produktion als Folge der Erkennung zelleigener Nukleinsäuren kommt auch bei seltenen monogenetischen Autoimmunerkrankungen vor und kann hier genau einem Gendefekt zugeordnet werden“, sagt Prof. Dr. Rayk Behrendt, Forschungsgruppenleiter des Instituts für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie am UKB.
Erkennung von DNA und RNA in Zellen ist gekoppelt
Dies machte sich das Forscherteam der Medizinischen Fakultäten der Universität Bonn und der TU Dresden zunutze und sah sich das Aicardi-Goutières Syndrom im Mausmodell genauer an. Diese interferon-getriebene monogenetische Autoimmunerkrankung wird durch inaktivierende Mutationen in Genen ausgelöst, die zelleigene Nukleinsäuren abbauen und so verhindern, dass Sensoren des angeborenen Immunsystems aktiviert werden. Eins dieser Gene nennt sich SAMHD1, es reguliert die Vermehrung und Reparatur der DNA im Zellkern. Folglich wurde bisher angenommen, dass bei Betroffenen die DNA die Erkrankung vorantreibt. „Wir zeigten aber nun, dass entgegen den bisherigen Erwartungen die Erkennung von zelleigener RNA die treibende Kraft hinter der unkontrollierten Interferon-Produktion ist“, sagt Prof. Behrendt. „Hierbei sieht es so aus, als ob vor allem RNAs von in unserem Genom kodierten Viren eine Rolle spielen. Diese Sequenzen machen etwa 40 Prozent unseres Erbguts aus.“
Verlust der DNA-Erkennung unterdrückt das zelluläre Immunsystem
Doch wie kam es dazu, dass lange Zeit gedacht wurde, dass DNA in SAMHD1-defizienten Zellen das Interferon-System aktiviert. Es war schon lange bekannt, dass auch gesunde Zellen immer ein wenig Interferon produzieren: so genanntes „tonic interferon signaling“. Dieses führt dazu, dass viele Genprodukte, die eine Virusabwehr bewerkstelligen, immer in geringer Konzentration vorhanden sind und eine Immunantwort einschalten können. Dazu gehören auch viele Nukleinsäuren-Sensoren, wie diejenigen, die RNA im Zellplasma erkennen. Das Forscherteam beobachtete, dass tonic interferon über den DNA sensor cGAS aktiviert wird, also über die Erkennung zelleigener DNA, dem Träger unser Erbinformation im Zellkern. Schaltet man diesen DNA Sensor aus, werden die Zellen aber nicht nur blind gegenüber DNA, sondern auch gegenüber zelleigener oder viraler RNA. Denn durch das fehlende tonic interferon ist auch die Menge an RNA Sensoren reduziert. „Inaktiviert man also in SAMHD1-defizienten Zellen den DNA Sensor cGAS, sieht es so aus, als ob DNA die Erkrankung auslöst, weil das Interferon weg ist. In Wahrheit kann die Zelle einfach die zelleigene unnatürliche RNA nicht mehr sehen“, sagt Dr. Tina Schumann, Post-Doc am Institut für Immunologie der TU Dresden.
Was machen endogene Retroviren in unseren Zellen?
Die Motivation von Prof. Behrendt, die Ursachen dieser Art von sterilen Entzündungserkrankungen besser zu verstehen, ist neuartige Ansätze für Therapien zu schaffen. So scheint ein Mangel an SAMHD1 unter anderem ein Treiber für die Bildung von Krebszellen zu sein. Deshalb möchte der Bonner Forscher klären, warum es in SAMHD1-defizenten Zellen zur Anreicherung von RNA aus endogenen Retroviren kommt. Zudem möchte er klären, was cGAS in gesunden Zellen aktiviert und so die für uns so lebenswichtige Grundalarmierung des Immunsystems bewirkt.
Beteiligte Institutionen und Förderung:
An der Studie waren neben dem UKB, der Universität Bonn, dem Universitätsklinikum Dresden und TU Dresden die Medizinische Hochschule Hannover, die Universitäten Erlangen-Nürnberg und Marburg, das Institut Curie Paris, das Universitätsklinikum Heidelberg, das National Center for Tumor Diseases Dresden, das German Cancer Consortium Dresden und das German Cancer Research Center (DKFZ) Heidelberg beteiligt. Die Arbeiten wurden im Rahmen des DFG-geförderten Transregio SFBs TRR237 „Nucleic Acid Immunity“ der Universität Bonn gefördert.
Publikation: Tina Schumann, et al. “Deficiency for SAMHD1 activates MDAS in a cGAS/STING-dependent manner.” https://doi.org/10.1084/jem.20220829
Bildmaterial:
Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Dr. Rayk Behrendt
Professur für Nukleinsäure Immunität
Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie
Universitätsklinikum Bonn
Telefon: +49 228 287 51120
E-Mail: Rayk.Behrendt@ukbonn.de
Pressekontakt:
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Pressesprecherin am Universitätsklinikum Bonn (UKB)
Stabsstelle Kommunikation und Medien am Universitätsklinikum Bonn
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E-Mail: viola.roeser@ukbonn.de
Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB werden pro Jahr etwa 500.000 Patient*innen betreut, es sind 8.800 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,5 Mrd. Euro. Neben den über 3.300 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr weitere 580 Frauen und Männer in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht im Wissenschafts-Ranking auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW, weist den dritthöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf und hatte in den Corona- Jahren 2020 und 2021 als einziges der 35 deutschen Universitätsklinika einen Leistungszuwachs.