Schnellere und zuverlässigere Schlaganfalldiagnostik dank künstlicher Intelligenz
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg, des Deutschen Krebsforschungszentrums und des Universitätsklinikums Bonn entwickelten Algorithmus zur automatisierten Auswertung von CT-Bildern / Für Forschungszwecke über Website kostenlos nutzbar / System ist mehreren kommerziell verfügbaren KI-Produkten zur Schlaganfalldiagnose deutlich überlegen / Ergebnisse im Journal „Nature Communication“ erschienen
Plötzlich auftretendes, anhaltendes Kribbeln im Arm oder ungewöhnlich heftige Kopfschmerzen? Die Frage, ob es sich dabei um einen Schlaganfall handelt, ist selbst nach der Computertomographie (CT) bisweilen nicht leicht zu beantworten. Unterstützung bei der Diagnose – oder dem Ausschluss – von Schlaganfällen bietet ein neues Analyseprogramm, das Teams des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen des Universitätsklinikums Bonn (UKB) entwickelt haben. Der lernende Algorithmus wurde mit den CT-Datensätzen von mehr als 1.000 Patienten des UKHD mit Verdacht auf Schlaganfall trainiert und an drei regionalen Kliniken sowie am UKB parallel zur üblichen Schlaganfalldiagnostik auf seine Zuverlässigkeit hin getestet und mit kommerziellen Produkten verglichen. Die Ergebnisse der Probeläufe sind nun im Fachjournal „Nature Communications“ erschienen: Die Heidelberger Anwendung zur Auswertung von CT-Bilddaten schneidet deutlich besser ab als derzeit verfügbare KI-Produkte zur Schlaganfalldiagnostik.
Bei der Schlaganfall-Diagnose ist die Computertomographie mittlerweile unverzichtbar: Die Untersuchung geht schnell und bietet einen Blick auf verursachende Gefäßverschlüsse, deren Lokalisation und Ausmaß sowie die Gewebeschäden im Gehirn. Diese Informationen sind wichtig für das weitere Vorgehen, zum Beispiel ob ein Kathetereingriff, die sogenannte Thrombektomie, in Frage kommt und der Patient dazu an eine darauf spezialisierte Klinik, wie das UKHD oder UKB, verlegt werden muss. Die Beurteilung der CT-Bilder muss schnell gehen, denn je mehr Zeit bis zum Therapiestart vergeht, desto mehr Gehirngewebe nimmt durch die Durchblutungsstörung irreparablen Schaden. „Bei selten auftretenden Verschlüssen in den äußeren Hirnbereichen kann die Beurteilung der Bilddaten aber Zeit in Anspruch nehmen und ist mit einer gewissen Unsicherheit behaftet, die auch von der Erfahrung des Teams vor Ort abhängt“, sagt Prof. Dr. Philipp Vollmuth, Seniorautor des Artikels und Leiter der Sektion Computational Neuroimaging, Klinik für Neuroradiologie des UKHD.
Als zeitsparende Unterstützung sind mittlerweile computergestützte Analyseprogramme auf dem Markt. Dazu wird ein lernender Algorithmus anhand möglichst vieler CT-Bilddaten trainiert, Gefäßverschlüsse jeder Lage und Ausprägung im Gehirn möglichst sicher zu erkennen. Das Problem bei kommerziellen Anbietern: Sie haben nur eingeschränkten Zugang zu klinischen Daten. Das Trainingsmaterial der Künstlichen Intelligenz (KI) ist daher nicht immer repräsentativ und die verwendete Methodik entspricht nicht immer dem aktuellen Stand der Wissenschaft. In Folge erkennt die KI vor allem Verschlüsse in seltener betroffenen Hirngefäßen schlecht.
Anders beim Heidelberger Analysetool: Der Algorithmus wurde mit Bilddaten von mehr als 1.000 Patientinnen und -Patienten, die mit Verdacht auf Schlaganfall am UKHD untersucht und behandelt wurden, entwickelt. Anschließend bewährte er sich in einer sechsmonatigen Testphase an drei ausgewählten Partnerkliniken des Schlaganfallkonsortiums Rhein-Neckar (FAST) und am UKB. „„Im Bereich der Künstlichen Intelligenz ist es extrem wichtig zu zeigen, dass die Algorithmen auch in anderen medizinischen Umgebungen funktionieren und nicht nur am Ort, wo der Algorithmus trainiert wurde. Daher sind multizentrische Studien hier von besonderer Wichtigkeit. Wir freuen uns, dass wir durch die vorliegende Studie dazu beitragen können, die Behandlung von Schlaganfallpatienten zu verbessern“, sagt Prof. Dr. Alexander Radbruch, Direktor der Klinik für Neuroradiologie am UKB. Prof. Vollmuth ergänzt: „Unser Algorithmus zeigte sich im Vergleich zu kommerziellen KI-Produkten deutlich genauer. Darüber hinaus ist der negative Vorhersagewert, also dass bei Ausschluss eines Gefäßverschlusses durch den Algorithmus die Vorhersage tatsächlich korrekt ist, mit bis zu 97 Prozent schon sehr gut. Unser Ziel ist es aber, den Algorithmus noch besser zu machen.“
Dazu will das Projektteam „Data Crowdsourcing“ nutzen: Der Algorithmus ist über die Website https://stroke.neuroAI-HD.org für Forschungszwecke nutzbar und wird kostenlos vom DKFZ zur Verfügung gestellt. Dazu können registrierte Forschende Bilddaten von Patientinnen und Patienten auf der Website hochladen und erhalten innerhalb weniger Minuten die Auswertung. Die eingespielten Bilddaten sollen zukünftig nach Zustimmung dazu genutzt werden, die KI weiter zu trainieren. „Mit Hilfe dieses Konzepts werden wir den Algorithmus kontinuierlich verbessern und hoffen daher, dass sich möglichst viele Kliniken an dem Projekt beteiligen. Wir sehen dieses Konzept als eine Blaupause für die kooperative Entwicklung von maximal zuverlässigen KI-Algorithmen“, erklärt Dr. Ralf Floca, Gruppenleiter in der Abteilung für Medizinische Bildverarbeitung am DKFZ.
Den kritischen Blick von Ärztin und Arzt kann und soll die KI nicht ersetzen: Für die Diagnosestellung gilt weiterhin das Vier-Augen-Prinzip. „Das System hilft bei der Absicherung der Diagnose, insbesondere wenn die Symptome nicht eindeutig sind und an kleineren Häusern keine spezialisierte neuroradiologische Expertise vorhanden ist. Außerdem gibt unser Algorithmus an, wie sicher er in seinem Ergebnis ist. Bei großer Unsicherheit sollten weitere Untersuchungen folgen“, erläutert Prof. Vollmuth. Großen Nutzen für die Betroffenen sieht er vor allem in der Möglichkeit, durch die KI-Unterstützung in dieser zeitkritischen Situation schneller die Therapie einleiten zu können.
Literatur:
Brugnara G*, Baumgartner M*, Scholze ED*, Deike-Hofmann K, Kades K, Scherer J, Denner S, Meredig H, Rastogi A, Mahmutoglu MA, Ulfert C, Neuberger U, Schönenberger S, Schlamp K, Bendella Z, Pinetz T, Schmeel C, Wick W, Ringleb PA, Floca R, Möhlenbruch M, Radbruch A, Bendszus M, Maier-Hein K, Vollmuth P. Deep-learning based detection of vessel occlusions on CT-angiography in patients with suspected acute ischemic stroke. Nat Commun 14, 4938 (2023). https://doi.org/10.1038/s41467-023-40564-8 (*geteilte Erstautorenschaft)
Pressekontakt:
Dr. Inka Väth
stellv. Pressesprecherin am Universitätsklinikum Bonn (UKB)
Stabsstelle Kommunikation und Medien am Universitätsklinikum Bonn
Telefon: (+49) 228 287-10596
E-Mail: inka.vaeth@ukbonn.de
Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB werden pro Jahr etwa 500.000 Patient*innen betreut, es sind ca. 9.000 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,6 Mrd. Euro. Neben den über 3.300 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr weitere 585 Personen in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht im Wissenschafts-Ranking sowie in der Focus-Klinikliste auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW und weist den dritthöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf. Das F.A.Z.-Institut hat das UKB 2022 und 2023 als Deutschland begehrtesten Arbeitgeber und Ausbildungs-Champion unter den öffentlichen Krankenhäusern bundesweit ausgezeichnet.