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Weiterer Schritt zur Entschlüsselung des Riechens

Forschende aus Bonn und Aachen klären Rolle einzelner Hirn-Nervenzellen bei menschlicher Geruchswahrnehmung

Bonn, 09. Oktober Wie wichtig der Geruchssinn ist, werden wir uns oft erst bewusst, wenn er nicht mehr da ist: Das Essen schmeckt kaum noch, oder auf Gefahren wie Brandgeruch wird nicht mehr reagiert. Forschende des Universitätsklinikums Bonn (UKB), der Universität Bonn und der Universität Aachen haben erstmals die neuronalen Mechanismen der menschlichen Geruchswahrnehmung untersucht. Individuelle Nervenzellen im Gehirn erkennen Gerüche und reagieren spezifisch auf den Duft, das Bild und das geschriebenen Wort eines Objektes, beispielsweise einer Banane. Die Ergebnisse dieser Studie schließen eine lange bestehende Wissenslücke zwischen tierexperimenteller und menschlicher Geruchsforschung und wurden jetzt in der renommierten Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht.

 Welche Regionen des menschlichen Gehirns an der Geruchswahrnehmung, fachsprachlich olfaktorische Wahrnehmung, beteiligt sind, konnte anhand von bildgebenden Verfahren wie der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) bereits gezeigt werden. Diese Methoden erlauben es jedoch nicht, den Geruchssinn auf der grundlegenden Ebene einzelner Nervenzellen zu untersuchen. „Daher beruht unser Verständnis der Geruchsverarbeitung auf zellulärer Ebene hauptsächlich auf Tierstudien, und es war bislang nicht klar, inwieweit sich diese Ergebnisse auf Menschen übertragen lassen“, sagt Co-Korrespondenzautor Prof. Florian Mormann von der Klinik für Epileptologie am UKB, der auch ein Mitglied in dem Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Life & Health“ der Universität Bonn ist.

Nervenzellen im Gehirn identifizieren Gerüche

Der Forschungsgruppe um Prof. Mormann gelang es jetzt erstmals, die Aktivität individueller Nervenzellen während des Riechens aufzuzeichnen. Dies war nur möglich, da die Forschenden mit Patienten der Klinik für Epileptologie am UKB, einem der größten Epilepsiezentren Europas, zusammenarbeiten, denen aus diagnostischen Gründen Elektroden ins Gehirn implantiert wurden. Ihnen wurden sowohl angenehme als auch unangenehme Düfte wie alter Fisch präsentiert. „Wir entdeckten, dass einzelne Nervenzellen im menschlichen Gehirn auf Gerüche reagieren. Anhand deren Aktivität konnten wir präzise vorhersagen, welcher Duft gerade gerochen wird“, sagt Erstautor Marcel Kehl, Doktorand der Universität Bonn in der Arbeitsgruppe von Prof. Mormann am UKB. Die Messungen zeigten, dass unterschiedliche Hirnregionen wie die primäre Riechrinde, fachsprachlich piriformer Kortex, und auch bestimmte Bereiche des medialen Schläfenlappen, konkret die Amygdala, der Hippokampus und der entorhinale Kortex, an spezifischen Aufgaben beteiligt sind. Während die Aktivität der Nervenzellen in der Riechrinde am genauesten vorhersagte, welcher Duft gerochen wurde, konnte die Nervenaktivität im Hippokampus vorhersagen, ob Düfte richtig identifiziert wurden. Ausschließlich Nervenzellen in der Amygdala, einer Region die an emotionalen Prozessen beteiligt ist, reagierten unterschiedlich, je nachdem, ob ein Duft als angenehm oder unangenehm empfunden wurde.

 Nervenzellen reagieren auf Geruch, Bild und Name der Banane

In einem nächsten Schritt untersuchten die Forschenden den Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Düften und Bildern. Dazu präsentierten sie den Bonner Studien-Teilnehmenden neben dem Geruch das passende Foto, beispielsweise Duft und später ein Bild von einer Banane, und untersuchten die Reaktion der Neuronen. Erstaunlicherweise reagierten Nervenzellen in der primären Riechrinde nicht nur auf Düfte, sondern auch auf Bilder. „Dies legt nahe, dass die Aufgabe der menschlichen Riechrinde weit über die reine Wahrnehmung von Düften hinausgeht“, sagt Co-Korrespondenzautor Prof. Marc Spehr vom Institut für Biologie II der RWTH Aachen.

Die Forschenden entdeckten einzelne Nervenzellen, welche spezifisch auf den Duft, das Bild und das geschriebene Wort beispielsweise der Banane reagierten. Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass schon früh in der menschlichen Geruchsverarbeitung semantische Informationen verarbeitet werden. Die Resultate bestätigen nicht nur Jahrzehnte von Tierstudien, sondern zeigen auch, wie unterschiedliche Hirnregionen bei spezifisch menschlichen Funktionen der Geruchsverarbeitung mitwirken. „Dies ist ein wichtiger Beitrag auf dem Weg zur Entschlüsselung des menschlichen olfaktorischen Codes“, sagt Prof. Mormann. „Weitere Forschung auf diesem Gebiet ist notwendig, um eines Tages Riechhilfen zu entwickeln, die wir im Alltag so selbstverständlich nutzen können wie Brillen oder Hörgeräte.“

Förderung: Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie vom Land Nordrhein-Westfalen (NRW) im Rahmen des iBehave-Verbund-Projekts gefördert.

Publikation: Marcel S. Kehl et al.: Single-Neuron Representations of Odors in the Human Brain; Nature; DOI: https://doi.org/10.1038/s41586-024-08016-5

Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Florian Mormann
Kognitive und Klinische Neurophysiologie
Klinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn
TRA „Life & Health“, Universität Bonn
Telefon: (+49) 228 287-15738
E-Mail: florian.mormann@ukb.uni-bonn.de

Bildmaterial:

Bildunterschrift: Weiterer Schritt zur Entschlüsselung des Riechens:
(v. li.) Prof. Florian Mormann und Marcel Kehl sind den neuronalen Mechanismen der menschlichen Geruchswahrnehmung auf der Spur. 

Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn (UKB) / Rolf Müller

Pressekontakt:
Dr. Inka Väth
stellv. Pressesprecherin am Universitätsklinikum Bonn (UKB)
Stabsstelle Kommunikation und Medien am Universitätsklinikum Bonn
Telefon: (+49) 228 287-10596
E-Mail: inka.vaeth@ukbonn.de

Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB finden pro Jahr etwa 500.000 Behandlungen von Patient*innen statt, es sind ca. 9.500 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,8 Mrd. Euro. Neben den 3.500 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr 550 Personen in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht in der Focus-Klinikliste auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW, hatte in 2023 in der Forschung über 100 Mio. Drittmittel und weist den zweithöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf. Das F.A.Z.-Institut hat das UKB mit Platz 1 unter den Uniklinika in der Kategorie „Deutschlands Ausbildungs-Champions 2024“ ausgezeichnet.

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