Bessere finanzielle Hilfe für zuckerkranke Schulkinder
Prof. Wölfle zum diesjährigen Welt-Diabetes-Tag
Etwa 34.000 Kinder und Jugendliche werden derzeit in Deutschland wegen einem Typ-1-Diabetes behandelt – Tendenz steigend. Ursache der chronischen Erkrankung ist ein Mangel an dem Blutzucker senkenden und lebensnotwendigen Hormon Insulin. Es schleust Zucker, ein wichtiger Energielieferant für die Zellen, aus dem Blut in die Körperzellen. Um Akutsituationen wie einen Bewusstseinsverlust aufgrund einer schweren Unterzuckerung sowie Organschäden durch Überzuckerung infolge eines Insulinmangels zu verhindern, müssen Betroffene lebenslang mehrmals am Tag den Blutzucker messen, die Mahlzeiten berechnen und entsprechend Insulin von außen zuführen. also per Injektion mittels Pen oder per „Knopfdruck“ im Rahmen einer Insulinpumpentherapie. Anlässlich des diesjährigen Welt-Diabetes-Tags am 14. November, den die Internationale Diabetes-Föderation (IDF) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausrufen, erklärt Prof. Dr. Joachim Wölfle, Leiter des Schwerpunktes Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie und derzeitiger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderendokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Bonn:
Wo sehen Sie die Problematiken für Kinder und deren Familie und wie könnten diese gelöst werden?
Die Diagnose Typ-1 Diabetes mellitus bedingt, dass sich Kind und Familie neben alterstypischen Problemen zusätzlich mit zahlreichen Einschränkungen und Herausforderungen auseinandersetzen müssen. Unter anderem wird ein lebenslanges Monitoring notwendig, um akute und chronische Komplikationen zu vermeiden. Dauerhafte Reflektion der Nahrungsmittelzufuhr, regelmäßige Kontrolle des Blutzuckers sowie hoher Zeit-, aber auch finanzieller Aufwand sind nur einzelne Aspekte, die die Belastungen von Betroffenen und ihren Familien verdeutlichen. Gerade von Heranwachsenden in der Pubertät werden diese Einschränkung der Unbeschwertheit und Verlust der Spontanität oft als sehr belastend empfunden.
Unumgänglich ist daher eine individualisierte psychosoziale Betreuung, um etwaige Krisen zu vermeiden oder rechtzeitig zu erkennen und gegebenenfalls zu intervenieren. Ein wesentlicher Pfeiler sind hier wiederholte, altersgerechte Einzel- oder Gruppenschulungen, um Patienten und deren Familien umfassend über die Erkrankung und sozialrechtlicher Aspekte zu informieren und zu weitest gehender Selbständigkeit zu verhelfen.
Wie sehen Sie die Situation von Kindern mit Diabetes 1 in der KiTa oder Schule? Wie zuhause muss in der betreuenden Einrichtung mehrfach täglich der Blutzucker bestimmt werden. Zudem muss abgeschätzt werden, welche Zuckermenge beispielsweise im Pausenbrot enthalten ist, und hierfür dem Körper entsprechend Insulin per Pen oder Pumpe zugeführt werden. Im Kleinkind- und Vorschulalter nutzt in Deutschland bereits fast jedes diabetische Kind aufgrund der deutlich besseren Steuerbarkeit eine Insulinpumpe. Allerdings ist die Insulinpumpentherapie mit deutlich höheren Behandlungskosten verknüpft. Bei körperlicher Anstrengung wie Sportunterricht oder Toben muss der Körper zusätzlich Zucker bekommen, um eine Unterzuckerung zu vermeiden. Gerade junge Kinder, die noch nicht rechnen können, benötigen hierfür eine Hilfestellung. Damit diese sachgerecht erfolgt muss das Personal der Kita, Grundschule oder weiterführenden Schule fachkundig von Diabetesteams geschult werden. Allerdings werden diese Schulungen bisher nicht finanziert.
In vielen Fällen wird darauf gedrängt, dass die Blutzuckermessungen durch Eltern oder einen Pflegedienst erfolgen. Allerdings ist an vielen Wohnorten schlicht kein fachkundiger Pflegedienst verfügbar, so dass Eltern einspringen und somit beruflich reduzieren oder pausieren. Zusätzlich sind die Leistungen des Pflegedienstes derzeit nicht kostendeckend vergütet. Theoretisch können diese Leistungen auch über einen Integrationshelfer erfolgen. Doch die unscharfe Abgrenzung, ob Krankenversicherung oder Sozialamt hierfür tatsächlich zuständig ist, führt nicht selten zu langwierigen Verzögerungen, während der die Kinder oft vom Kita- oder Schulbesuch ausgeschlossen sind.
Neben diesen finanziellen und sozialrechtlichen Fragen muss Sorge getragen werden, dass das diabetische Kind durch eine besondere Behandlung oder Sorge vor Komplikationen nicht von üblichen Aktivitäten ausgeschlossen wird und einen Außenseiterstatus erhält.
Was fordern Sie in Ihrer Funktion als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderendokrinologie und Diabetologie?
Vor diesem Hintergrund ist dringend eine bundesweit einheitliche Regelung für die Einbindung von Kindern mit Typ-1-Diabetes in Kita und Schule wünschenswert. Hier sollte klar geregelt sein, wer entsprechende Leistungen und Mehrbedarf für betroffene Kinder und Jugendliche koordiniert und finanziert. Alle, die Umgang mit Kindern Typ-1-Diabetes haben, sollten von einem Diabetesteam geschult werden. Hierfür müssen die Betreuer oder Lehrer freigestellt werden, aber auch die Leistungen der schulenden Teams finanziert werden.
Nur so kann es gelingen, dass Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes eine adäquate Integration in Kindergarten oder Schule erhalten. Technischer Fortschritt und neue medizinische Therapieformen können zwar das Risiko für Folgeerkrankungen vermindern und bieten für die Betroffenen eine große Chance mit ihrer chronischen Erkrankung langfristig ohne Organschädigungen leben zu können. Mindestens genauso wichtig ist aber für das betroffene Kind und seine Familie, dass die genannten psychosozialen Problematiken nicht einem normalen Leben im Wege stehen.
Kontakt für die Medien: Prof. Dr. Joachim Wölfle Leiter des Schwerpunktes Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie Universitätsklinikum Bonn Telefon: 0228/287-33223 E-Mail: joachim.woelfle@ukbonn.de