Ist das Ideal eines „Medicus politicus“ noch aktuell?
Interdisziplinäre Tagung:
Historische und ethische Dimensionen des ärztlichen Handelns
Das Medizinhistorische Institut der Universität Bonn veranstaltet im Rahmen der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschergruppe „Natur in politischen Ordnungsentwürfen“ eine Tagung unter dem Motto „Menschennatur in Zeiten des Umbruchs – Verhandlungen zwischen Politik und Medizin“. Die Veranstaltung findet am Donnerstag und Freitag, 25. und 26. Januar 2018, im Gebäude des Medizinhistorischen Instituts auf dem Venusberg am Universitätsklinikum statt. Interessierte und Journalisten sind herzlich willkommen!
Wenn die Gesundheit vieler in Gefahr ist und Epidemien wie heute Ebola oder früher die Pest beziehungsweise Umweltdesaster eine ganze Gesellschaft zu destabilisieren drohen, sind Mediziner auf besondere Weise herausgefordert. Die ärztliche Expertise erhält dabei eine biopolitische Funktion und wirkt an der Schnittstelle von Individuum und Gesellschaft. Ärzte verantworten die Behandlung des einzelnen Patienten jetzt auch mit Blick auf den Schutz der Gemeinschaft. Aus der longue-durée-Perspektive betrachtet zeigt sich, dass die mit diesen Phänomenen einhergehenden ethischen Implikationen verblüffende Kontinuitäten aufweisen. Es erstaunt nicht, dass diese Dimension ärztlichen Wirkens schon in der vormodernen Medizin reflektiert wurde. Das Idealbild eines politischen Arztes – eines „Medicus politicus“ – entstand und bot sich als Fundament für ein professionelles ärztliches Ethos in einer von Kriegen und religiösen Auseinandersetzungen zerrütteten Zeit an.
Die Tagung startet mit der Diskussion um die Funktion des Arztes als Kontrollinstanz und Prüfer des Gesundheitszustandes von Menschen in prekären existentiellen Situationen. Heute sind es beispielsweise Geflüchtete, denen eine Abschiebung droht, im 17. Jahrhundert waren es Sklaven, Söldner oder Prostituierte, die in bestimmten Situationen vom Arzt begutachtet werden mussten. Selbstverletzungen und das Provozieren sichtbarer Krankheiten können als Notstrategien angewendet werden, um einer Zwangsmaßname zu entfliehen. Ärzte erhalten hier eine normative Funktion, wobei ihr Spielraum kontextspezifisch ist und individuell stark variieren kann. Doch eines steht fest: Ihre Entscheidung hat sozio-politische und existentielle Folgen. Epochenunabhängig ist die Frage nach dem ärztlichen Ethos, wenn politischer Druck und juristische Regelungen auf der einen Seite und individuelle Not auf der anderen bestehen.
Die Figur des jüdischen Mediziners Rodrigo de Castro ist der Ausgangspunkt dieser Tagung: De Castro hatte in Hamburg den Pestausbruch im Jahr 1595 erlebt und 1614 in seiner Schrift „Medicus politicus“ das Ideal des politischen, ethisch bewussten Arztes lanciert. Seit dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges 1618 wurde dieses Idealbild rasch übernommen, adaptiert, verwandelt, manchmal auch ad absurdum geführt. Der Medicus machiavellus ist sein Counterpart: geldgierig, amoralisch und lebensgefährlich!
Die hippokratische Tradition des moralischen Mediziners, der sich geschickt und selbstbewusst, korrekt und sozialkompetent im Umfeld des Patienten und in der Gesellschaft sowie im Umgang mit politischen Herrschern bewegt und seine Macht nie ausnutzt, erhält in de Castros Arztideal eine neue Konturierung. Dieser Arzt trägt eine mannigfaltige Verantwortung: für den individuellen Kranken und für die Gesellschaft. Die Erfahrung des Pestausbruchs in der Hansestadt scheint grundlegend für die Entwicklung dieses Modells gewesen zu sein.
Weitere Themen des breit gefächerten Programms sind unter anderem die politischen Implikationen der bahnbrechenden Theorien von Girolamo Fracastoro zur Syphilis-Ansteckung durch krankheitsübertragende Keime, gerichtsmedizinische Betrachtungen des Schlafwandelns, das Avancieren von Stadtärzten in der Frühen Neuzeit zu Funktionären oder die Konsequenzen psychiatrischer (Fern-)Diagnosen, wenn Psychiater im Dienste der Politik agieren.
Einen höchst aktuellen Akzent erhält die Tagung durch den Abendvortrag. Politikberatung durch Ärzte steht hier im Fokus. Davon ausgehend, dass gesundheitspolitische Entscheidungen nur dann gut getroffen werden können, wenn sie medizinisch flankiert und evidenzbasiert sind, zeichnet der Leibnizpreisträger, Kliniker und Wissenschaftler Hans-Peter Zenner Wege hin zu einer evidenzbasierten Politik.
Das vollständige Programm gibt es im Internet unter:
https://www.mhi.uni-bonn.de/de/aktuellesProgrammKontakt für die Medien:
Prof. Dr. Mariacarla Gadebusch Bondio
Direktorin des Medizinhistorischen Instituts
Universität Bonn
Tel.: 0228/287-15000 oder -15001
E-Mail: gadebusch.bondio@uni-bonn.de
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