VERFASST VONukbnewsroom

Künstliche Intelligenz erkennt Blutkrebs

Bislang größte Metastudie über die Akute Myeloische Leukämie

Künstliche Intelligenz kann eine der häufigsten Formen von Blutkrebs – die Akute Myeloische Leukämie (AML) – mit hoher Zuverlässigkeit erkennen. Das haben Forschende des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankung (DZNE) und der Universität Bonn im Rahmen einer Machbarkeitsstudie nun nachgewiesen. Ihr Ansatz beruht auf der Analyse der Genaktivität von Zellen, die im Blut vorkommen. In der Praxis eingesetzt, könnte dieses Verfahren herkömmliche Diagnosemethoden unterstützen und den Therapiebeginn möglicherweise beschleunigen. Die Forschungsergebnisse sind im Fachjournal „iScience“ veröffentlicht.

Künstliche Intelligenz ist in der Medizin ein vieldiskutiertes Thema, insbesondere im Bereich der Diagnostik. „Wir wollten die Potentiale an einem konkreten Beispiel untersuchen“, erläutert Prof. Joachim Schultze, Forschungsgruppenleiter am DZNE und Leiter der Abteilung Genomik und Immunoregulation am LIMES-Institut der Universität Bonn. „Weil dafür große Datenmengen erforderlich sind, haben wir Daten der Genaktivität von Zellen aus dem Blut ausgewertet. Dazu gibt es zahlreiche Studien und die zugehörigen Ergebnisse sind über Datenbanken zugänglich. Es gibt also einen enormen Datenpool. Wir haben quasi alles gesammelt, was derzeit verfügbar ist.“

Fingerabdruck der Genaktivität

Schultze und Kollegen ging es dabei um das „Transkriptom“: einer Art Fingerabdruck der Genaktivität. Denn in jeder Körperzelle sind je nach deren Zustand immer nur bestimmte Gene „eingeschaltet“, was sich im Profil der Genaktivität widerspiegelt. Genau solche Daten – sie stammten von Zellen aus Blutproben und umfassten tausende von Genen – wurden im Rahmen der aktuellen Studie untersucht. „Das Transkriptom enthält wichtige Informationen über den Zustand von Zellen. Die klassische Diagnostik beruht jedoch auf anderen Daten. Wir wollten deshalb herausfinden, was eine Analyse des Transkriptoms mit Hilfe künstlicher Intelligenz, also mittels lernfähiger Algorithmen, leisten kann“, sagt Schultze, der Mitglied im Excellenzcluster „ImmunoSensation“ der Universität Bonn ist. „Langfristig möchten wir diesen Ansatz auf weitere Fragestellungen anwenden, insbesondere im Bereich der Demenzerkrankungen.“

In der aktuellen Studie stand die AML im Fokus. Ohne adäquate Behandlung führt diese Form der Leukämie innerhalb von Wochen zum Tode. Die AML geht einher mit der Vermehrung krankhaft veränderter Knochenmarkszellen, die letztlich ins Blut gelangen können. Dort treiben dann gesunde Zellen und Tumorzellen, deren Gene jeweils typische Aktivitätsmuster aufweisen. Alle diese Aktivitätsprofile gingen in die Analyse ein. Messdaten von mehr als 12.000 Blutproben – diese stammten aus 105 verschiedenen Studien – wurden dabei berücksichtigt: der bislang größte Datensatz für eine Metastudie über AML. Rund 4.100 dieser Blutproben kamen von Personen mit AML-Diagnose, die übrigen von Personen mit anderen Erkrankungen oder von Personen, die als gesund eingestuft worden waren.

Hohe Trefferquote

Die Wissenschaftler fütterten ihre Algorithmen mit Teilen dieses Datensatzes. Zum Input gehörte, welche Proben von AML-Patienten stammten und welche nicht. „Die Algorithmen suchten dann im Transkriptom nach krankheitstypischen Mustern. Das ist ein Prozess der weitgehend automatisiert ablief. Man spricht von maschinellem Lernen“, sagt Schultze. Mit der so erworbenen Mustererkennung wurden dann weitere Daten von den Algorithmen analysiert und klassifiziert, also eingeteilt in Proben mit AML und ohne AML. „Uns war die Zuordnung, so wie sie in den Originaldaten verzeichnet war, natürlich bekannt, der Software jedoch nicht. Insofern konnten wir die Trefferquote überprüfen. Diese lag bei einigen Verfahren oberhalb von 99 Prozent. Wir haben diverse Verfahren aus dem Repertoire der künstlichen Intelligenz getestet. Es gab tatsächlich einen Algorithmus der besonders gut war, aber die anderen lagen nur knapp dahinter.“

Anwendung in der Praxis?

In der Praxis eingesetzt, könnte dieses Verfahren herkömmliche Diagnosemethoden unterstützen und helfen, Kosten zu sparen, meint der Bonner Wissenschaftler. „Prinzipiell könnte eine Blutprobe ausreichen, die der Hausarzt entnimmt und zur Analyse an ein Labor weiterleitet. Ich würde schätzen, dass die Kosten unterhalb von 50 Euro liegen.“ Die klassische AML-Diagnostik sei sehr umfangreich. Einzelne Verfahren daraus würden pro Durchlauf mit einigen hundert Euro zu Buche schlagen. „Allerdings haben wir noch keinen praxistauglichen Test entwickelt. Wir haben nur gezeigt, dass das Verfahren prinzipiell funktioniert. Also Grundlagen dafür gelegt, dass man einen Test entwickeln kann.“

Auch in Zukunft erfordere die Diagnose der AML spezialisierte Fachärzte, betont Schultze. „Es geht darum, den Experten ein Werkzeug an die Hand zu geben, das sie bei der Diagnose unterstützt. Hinzukommt, dass viele Patienten eine wahre Odyssee hinter sich haben, bis sie endlich beim Facharzt landen und dort eine endgültige Diagnose erhalten.“ Denn im Anfangsstadium können die Symptome einer AML ähnlich sein wie bei einer schweren Erkältung. Dabei ist die AML eine lebensgefährliche Erkrankung, die schnellstmöglich behandelt werden sollte. „Mit einem Bluttest, so wie er auf der Grundlage unserer Studie möglich scheint, wäre es denkbar, dass bereits der Hausarzt einen Verdacht auf AML abklärt. Und wenn sich dieser erhärtet, an einen Spezialisten überweist. Die Diagnose würde dann möglicherweise früher erfolgen als bisher und die Therapie könnte früher beginnen.“

Publikation:
Scalable prediction of acute myeloid leukemia using high-dimensional machine learning and blood transcriptomics
Stefanie Warnat-Herresthal, Konstantinos Perrakis et al., iScience (2019),
DOI: 10.1016/j.isci.2019.100780

Kontakt für Medien:
Dr. Marcus Neitzert
DZNE, Stabsstelle Kommunikation
Tel. 0228/43302-267
E-Mail: marcus.neitzert@dzne.de

Bilder:
Der Abdruck im Zusammenhang mit der Nachricht ist kostenlos, dabei ist der angegebene Bildautor zu nennen.

Prof. Dr. Joachim Schultze
vom LIMES-Institut der Universität Bonn und Forschungsgruppenleiter am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen.
© Foto: Volker Lannert/Uni Bonn
https://cams.ukb.uni-bonn.de/presse/pm-323-2019/images/Schultze_27_09_2017.jpg

 

Skip to content