„Wir müssen versuchen, neue Quellen für Antibiotika zu erschließen“
„World Antimicrobial Awareness Week“: Prof. Tanja Schneider von der Uni Bonn über Antibiotika und drohende Resistenzen
Sie sind die wichtigste Waffe gegen bakterielle Infektionen und regelrechte Wunderkugeln, wie sie Mediziner Paul Ehrlich einst nannte: Antibiotika. Umgekehrt haben Bakterien ausgeklügelte Tricks und Strategien, um der Wirkung von Antibiotika zu entkommen. Das macht den unbedachten Einsatz solcher Medikamente zur Gefahr, denn Resistenzen können die Folge sein. Mit der derzeit laufenden „World Antimicrobial Awareness Week“ möchte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf die Problematik zunehmender Antibiotikaresistenzen aufmerksam machen. Prof. Dr. Tanja Schneider und ihr Team vom Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie der Universität Bonn unterstützen die Aktion – am 24. November, dem „Go Blue Day“ der Aktionswoche sieht man die Forschenden und ihr Institutsgebäude in blau, der Farbe der WHO. Auch fallen Banner an der Mensa, dem Studierendensekretariat und dem Universitätsklinikum ins Auge. Aufgehängt hat sie der Sonderforschungsbereich TRR261 „Antibiotic CellMAP“, ein gemeinsamer Verbund der Universitäten Bonn und Tübingen. Im Interview spricht Tanja Schneider über die Wichtigkeit, Antibiotika richtig einzusetzen und wie schwer es ist, neue Antibiotika zu finden.
Frau Prof. Schneider, was macht für Sie die Relevanz von Antibiotika aus?
Antibiotika sind nicht nur unsere wichtigste Waffe, um bakterielle Infektionen zu behandeln, sondern viel mehr. Ohne Antibiotika wäre die moderne Medizin, wie wir sie heute kennen, nicht möglich. Antibiotika schützen uns beispielsweise bei komplexen Operationen, Transplantationen oder Gelenkersatz und bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten, deren körpereigene Abwehr beeinträchtigt ist – zum Beispiel im Zuge einer Chemotherapie. Verlieren wir diese wichtigen Substanzen, verlieren wir auch wichtige Grundpfeiler der modernen Medizin.
Mit der Aktion weisen Sie darauf hin, dass die wichtigste Waffe im Kampf gegen Infektionen durch Antibiotika-Resistenzen stumpf zu werden droht. Wie schaffen wir es, dass dies nicht geschieht?
Jeder kann dazu beitragen. Besonders wichtig ist es, Antibiotika mit Bedacht einzusetzen, denn jeder Einsatz kann die Entstehung von Resistenzen begünstigen. Antibiotika bekämpfen effektiv krankmachende Bakterien. Allerdings muss nicht gleich jede Infektion mit Antibiotika behandelt werden, häufig schafft unser Körper das auch alleine. Bei einigen Infektionen sind sie sogar nutzlos. So wirken Antibiotika nicht gegen Viren, die meist Auslöser von Erkältungskrankheiten oder grippalen Infekten sind. Im Zweifel kann der unnötige Einsatz von Antibiotika auch schaden, denn Antibiotika können auch nützliche Bakterien, die in unserem Körper wichtige Funktionen haben, angreifen.
Was ist beim Einsatz von Antibiotika zu beachten?
Ist der Einsatz von Antibiotika erforderlich, sollten sie gezielt und strikt nach Verordnung eingenommen werden – wenn möglich nach Identifizierung des Erregers und Antibiogramm, also einer Antibiotika-Empfindlichkeitstestung. Auch wenn man sich nach wenigen Tagen bereits besser fühlt, sollte die Behandlung immer bis zum Ende durchgeführt werden. Ein frühzeitiger Abbruch oder die unregelmäßige Einnahme können die Bildung resistenter Bakterien fördern. Muss eine Antibiotikatherapie aus triftigen, medizinischen Gründen abgebrochen werden, so dürfen übriggebliebene Tabletten nicht über Abfluss oder Toilette entsorgt werden. Denn auch in unserer Umwelt befinden sich überall Bakterien, die Resistenzen ausbilden können.
Auch im Hinblick auf ihren Einsatz in der industriellen Tierhaltung werden Antibiotika immer wieder diskutiert. Welche Probleme bringt das mit sich?
In der Vergangenheit wurden Antibiotika in der Tiermast als Wachstumsförderer eingesetzt, und auch heute sind in der industriellen Tierhaltung mehr Antibiotika im Einsatz als in der Humanmedizin. Gerade die Produktion von „Billigfleisch“ bedeutet, dass Tiere massenhaft auf sehr engem Raum gehalten werden. Das ist so nur möglich, wenn Antibiotika zum Einsatz kommen. In der Praxis bedeutet das: Erkrankt ein einzelnes Tier, werden alle, auch eigentlich gesunde Tiere, vorsorglich mitbehandelt. So ist das Risiko groß, dass sich Resistenzen ausbilden. Besonders problematisch ist hierbei, dass auch sogenannte Reserve-Antibiotika zum Einsatz kommen. Das sind Substanzen, die beim Menschen nur eingesetzt werden, wenn andere Antibiotika nicht mehr wirken.
Im Januar 2022 tritt die vor zwei Jahren verabschiedete EU-Tierarzneimittelverordnung in Kraft, die den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung stärker regulieren soll. Das ist jedoch ein „heißes Eisen“ – erst im September wurde im EU-Parlament darüber entschieden, ob bestimmte Antibiotika nur noch dem Menschen vorbehalten sein sollten. Aufgrund einer „Unschärfe“ im zugrundeliegenden Gesetz hätte dies jedoch zur Folge gehabt, dass auch Haustiere mit diesen Substanzen nicht mehr hätten behandelt werden dürfen. Hier muss ganz klar unterschieden werden, denn industrielle Tierhaltung darf nicht mit Tiermedizin gleichgesetzt werden! Auch Tieren müssen Antibiotika zur Verfügung stehen, um Therapien sicherstellen zu können.
Sie sind mitten im Geschehen und suchen mit Ihrer Forschung nach neuen Antibiotika. Was sind dabei die größten Herausforderungen?
Es ist leider nicht mehr so leicht wie es vor 60 bis 80 Jahren der Fall war, neue, gut wirksame Antibiotika zu finden,. In diesem „Goldenen Zeitalter“ der Antibiotika wurden nahezu alle heute eingesetzten Antibiotika-Klassen entdeckt und damit auch die tiefhängenden Früchte, also die leichter zu findenden Antibiotika „abgeerntet“. Zwei Aspekte sind daher – neben vielen anderen – besonders relevant. Zum einen müssen wir versuchen, neue Quellen für Antibiotika zu erschließen. Das heißt, wir müssen zum Beispiel an ungewöhnlichen Orten wie der Tiefsee oder extremen Habitaten nach neuen Antibiotika-Produzenten suchen. Meist sind dies ebenfalls Bakterien oder auch Pilze. Ein besonders vielversprechender Ansatz ist außerdem, bislang nicht kultivierte Bakterien – und diese machen 99 Prozent aller Bakterien aus – im Labor zu kultivieren und sie auf ihre Fähigkeit, Antibiotika zu produzieren, zu untersuchen. Eine Möglichkeit hierfür ist der sogenannte iChip, mit dessen Hilfe zum Beispiel 2015 der Produzent eines neuartigen Antibiotikums mit dem Namen Teixobactin entdeckt wurde.
Wie optimistisch sind Sie, dass die Wissenschaft zügig neue Antibiotika entwickeln und dadurch das Rennen gegen die Resistenz der Erreger gewinnen wird?
Es ist wie der Wettlauf zwischen Hase und Igel – Resistenzentwicklung gegen die Entwicklung neuer Antibiotika. Gewinnen können wir dieses Rennen vermutlich nicht, denn die Entstehung von Resistenzen ist eine ganz natürliche evolutionäre Konsequenz (wenn wir Antibiotika einsetzen). Wir sollten aber Schritt halten. Umso wichtiger ist es, die Forschung in diesem Bereich massiv zu stärken. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass vor allem die Grundlagenforschung das wichtige „Rohmaterial“ für Innovation liefert.
Das Zusammenspiel von Bakterien und Antibiotika besser verstehen
Am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung etablieren Tanja Schneider und ihre Kolleg:innen neue Techniken, um Antibiotika leichter aufzuspüren und gleichzeitig die Wirkungsweise neuer Antibiotika aufzudecken. Darüber hinaus untersuchen die Wissenschaftler:innen der Universität Bonn gemeinsam mit ihren Tübinger Kollegen im DFG-geförderten Forschungsverbund TRR261 „Antibiotic CellMAP“, was in einer Bakterienzelle geschieht, wenn sie auf ein Antibiotikum trifft – frei nach dem Motto „Know your enemy“.
Prof. Dr. Tanja Schneider vom Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie der Universität Bonn, © Johann F. Saba/UKBonn
Kontakt: Prof. Dr. Tanja Schneider Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie Universitätsklinikum Bonn, Universität Bonn Tel. +49 (0)228 73 5 688 E-Mail: tschneider@uni-bonn.de
Bild oben: Ganz in blau Um auf den richtigen Einsatz von Antibiotika aufmerksam zu machen, präsentiert sich die Forschergruppe um Prof. Dr. Tanja Schneider am „Go Blue Day“ (24. November) in den Farben der WHO.
Bildnachweis: Johann F. Saba/UKBonn
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