Rund 1,5 Millionen Euro für Bonner Demenzforscher
Europäischer Forschungsrat fördert Projekt am DZNE zur Untersuchung auffälliger Muster im Gencode
Dr. Dr. Ahmad Aziz, Wissenschaftler am Bonner Standort des DZNE, erhält einen „Starting Grant“ des Europäischen Forschungsrates (ERC) in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro. Mit diesen Fördermitteln will er untersuchen, inwiefern bestimmte Muster im Gencode zur Entstehung von Demenz und anderen neurodegenerativen Erkrankungen beitragen. Konkret geht es darum, die Auswirkungen sich wiederholender DNA-Sequenzen – auch „Tandem Repeats“ genannt – auf das Gehirn zu ermitteln. Dafür werden Daten aus der Allgemeinbevölkerung und verschiedenen Patientengruppen analysiert. Das Forschungsprojekt nutzt modernste Technologien der Zell- und Genomanalyse sowie für die Analyse von Bilddaten des Gehirns; es soll Einblicke in Krankheitsmechanismen gewähren und damit Grundlagen für bessere Vorsorgemaßnahmen und Therapien schaffen.
Sehr lange Tandem Repeats sind Auslöser einer Reihe seltener neurodegenerativer Störungen wie der Huntington-Erkrankung, die mit schwerwiegenden motorischen, geistigen und psychischen Störungen einhergeht. Bei der Huntington-Erkrankung bewirkt die Mutation, dass ein fehlerhaftes Protein produziert wird – dies führt letztlich zum Absterben von Gehirnzellen. Doch solche Wiederholungen auf der DNA treten nicht nur bei seltenen Erkrankungen auf. „Das menschlichen Genom umfasst mehr als eine Million Tandem Repeats und kürzlich konnten wir nachweisen, dass relativ lange Tandem Repeats in der allgemeinen Bevölkerung viel häufiger sind, als man früher dachte. Nicht immer verursachen sie Erkrankungen, die offensichtlich sind. Es gibt allerdings Hinweise, dass sie die Entwicklung, Reifung und Funktion des Gehirns beeinflussen können“, erläutert Aziz, der neben seiner Forschungstätigkeit am DZNE auch als Neurologe in der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums Bonn arbeitet. „Ich vermute daher, dass sie zum genetischen Risiko für Neurodegeneration maßgeblich beitragen könnten. Bislang hat man sich aber nur eine Handvoll dieser sich wiederholenden DNA-Sequenzen näher angeschaut. Auf dem menschlichen Erbgut werden mein Team und ich deshalb systematisch tausende von Positionen untersuchen, die Tandem Repeats aufweisen, um herauszufinden, welche biologischen Merkmale damit verknüpft sind.“
Untersuchung der „somatischen Instabilität“
Aziz und sein Team wollen dabei besonders die „somatische Instabilität“ in den Fokus nehmen. Darunter versteht man, dass Tandem Repeats im Laufe der Zeit – mit dem Alter – immer länger werden können. „Dadurch kommt es mit dem Altern innerhalb dieser sich wiederholenden Sequenzen zu immer mehr Wiederholungen. Das geschieht insbesondere in Zellen, die sich nicht teilen, wie den Nervenzellen. Ursache dafür sind wahrscheinlich Fehler im Reparatursystem der DNA. Das kann fatale Folgen haben: Man weiß zum Beispiel von der Huntington-Erkrankung, dass lange Wiederholungen mit einer rascheren Entwicklung der Krankheit einhergehen.“, sagt der Bonner Forscher.
Proben von Patienten und gesunden Menschen
Um Tandem Repeats genau zu vermessen und den Grad ihrer somatischen Instabilität zu erfassen, bedarf es modernster Sequenzierungstechnologie und maßgeschneiderter Verfahren der Bioinformatik. Mit diesen Werkzeugen werden Aziz und sein Team bereits vorhandene Blutproben von rund 1.500 Menschen analysieren, die von Erkrankungen betroffenen sind, die auf Tandem-Repeats zurückgehen. Dies beinhaltet die Huntington-Erkrankung und sogenannte spinozerebelläre Ataxien, auch durch Neurodegeneration gekennzeichnet sind. Dafür werden sie auf Proben aus großen internationalen Kohorten-Studien zurückgreifen. Dies wird eine Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Bonn und anderen Partnern beinhalten. Aziz und sein Team werden außerdem Proben und Daten der „Rheinland Studie“ des DZNE verwenden. Ziel dieser Bonner Langzeit-Studie ist es, Faktoren zu ermitteln, die die Gesundheit (insbesondere die des Gehirns) in der allgemeinen Bevölkerung beeinflussen. Aktuell nehmen mehr als 8.000 Erwachsene daran teil, die eine Vielzahl von Untersuchungen durchlaufen. Hiervon profitiert das Projekt von Ahmad Aziz: Detaillierte Abbildungen des Gehirns aus der Rheinland Studie, die per Magnetresonanztomographie generiert wurden, sollen Aufschluss darüber geben, wie sich Tandem-Repeats auf Hirnstrukturen auswirken. Somit werden sowohl Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen, als auch mutmaßlich gesunde Personen in die Untersuchungen einbezogen.
Neuronale DNA aus dem Blut
„Uns interessiert besonders die DNA von Nervenzellen des Gehirns. Diese lässt sich aus dem Blut isolieren, weil Nervenzellen, ähnlich wie viele andere Körperzellen, winzige Bläschen abgeben, sogenannte extrazelluläre Vesikel, die auch DNA enthalten. Diese Vesikel können in den Blutkreislauf gelangen und letztlich das Gehirn verlassen. Aus dem Blut können wir diese Vesikel einsammeln und das in ihnen enthaltene Erbgut untersuchen“, so Aziz. „Die Informationen über Tandem Repeats und deren somatischer Instabilität, die wir aus der Analyse der DNA erhalten, werden wir dann mit anderen Daten korrelieren; etwa denen von Gehirn-Scans und mit den Werten eines Biomarkers, der auf Nervenschädigungen hinweist und sich ebenfalls im Blut messen lässt.“
Studien an Zellkulturen und weitere Analysen runden das Untersuchungsprogramm ab, das auf fünf Jahre angelegt ist. „Dieses Projekt hat das Potential noch unbekannte Mechanismen von Neurodegeneration aufzudecken und damit neue Ansatzpunkte für bessere Präventionsmaßnahmen und Behandlungsmethoden zu finden – und zwar gleichermaßen für seltene wie auch für Hirnerkrankungen, die häufiger sind, wie etwa Alzheimer und Parkinson“, sagt Aziz.
Über den ERC Starting Grant: Der von der Europäischen Union eingerichtete Europäische Forschungsrat (ERC) fördert exzellente Wissenschaft. Mit den „Starting Grants“ werden Forschende unterstützt, die sich am Anfang ihrer Karriere befinden und bereits herausragende wissenschaftliche Ergebnisse vorweisen können.
Über das DZNE: Das DZNE ist eine Forschungseinrichtung, die sich mit sämtlichen Aspekten neurodegenerativer Erkrankungen (wie beispielsweise Alzheimer, Parkinson und ALS) befasst, um neue Ansätze der Prävention, Therapie und Patientenversorgung zu entwickeln. Durch seine zehn Standorte bündelt es bundesweite Expertise innerhalb einer Forschungsorganisation. Das DZNE kooperiert eng mit Universitäten, Universitätskliniken und anderen Institutionen im In- und Ausland. Es wird öffentlich gefördert und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft.