Neuer Professor für Medizinische Psychologie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Nils Kroemer sucht innovative Therapieansätze von gestörter Motivation bei Depression, Essstörungen und Adipositas
Bonn, 05. Mai 2022 – Prof. Dr. Nils Kroemer hat die Professur für Medizinische Psychologie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn (UKB) angetreten. Damit ist auch die Leitung der Sektion in der Klinik und entsprechende Lehrverpflichtung verbunden. Er untersucht die neurobiologischen Grundlagen von Motivation und Belohnungsverhalten. Einen Fokus legt der 34-Jährige dabei auf das Zusammenspiel von Stoffwechselprozessen und Verhalten, die beispielsweise Essanfälle bei Binge Eating begünstigen oder zu Veränderungen im Belohnungssystem des Gehirns durch den übermäßigen Essenskonsum führen. Um dieses Wissen in Zukunft gezielt therapeutisch nutzen zu können, arbeitet seine Forschergruppe der Universität Bonn an neuromodulativen Behandlungsansätzen, beispielsweise mittels nicht-invasiver Vagusnerv-Stimulation am Ohr.
Essen macht glücklich, denn es setzt unser Belohnungssystem in Gang. „Wir passen unser Belohnungsverhalten so an, dass wir immer genug zu essen haben. Wenn ich aber satt bin, ist meine Motivation reduziert. Ich habe also keinen Heißhunger, selbst auf meine Lieblingsspeise“, sagt Prof. Kroemer. Denn unser Körper hat einen Regulationsmechanismus, der durch Botenstoffe wie beispielsweise dem „Glückshormon“ Dopamin und dem Vagusnerv gesteuert wird. „Der Vagusnerv wirkt dabei wie ein Autopilot. Er sorgt dafür, dass wir vor allem hoch kalorienreiche Nahrungsmittel bevorzugen. Das hilft uns, unseren Energiebedarf immer zu decken“, erklärt Prof. Kroemer. Oft isst man aber auch über den reinen Energiebedarf hinaus, zum Beispiel um seinen Stress zu regulieren. „Da ist es bisher schwerer Strategien zu entwickeln, die dagegenhalten“, beschreibt Prof. Kroemer den Nachteil eines Autopiloten. „Hier setzen wir an, damit man rechtzeitig wieder das Steuer selbst übernimmt.“
Kontrollverlust über das eigene Sättigungsgefühl und Essverhalten
Neben dem Belohnungssystem gibt es ein in die Zukunft gerichtetes System im Gehirn, bei dem es um übergeordnete Ziele wie beispielweise eine langfristige Gewichtsabnahme geht. „Es ist eine Art kognitive Kontrolle der Belohnung. Ohne sie würden uns sofortige Belohnungen von unseren langfristigen Zielen ständig ablenken“, sagt Prof. Kroemer, der sich unter anderem für die Prozesse im Gehirn interessiert, die eine Essattacke bei einer Binge-Eating-Störung begünstigen. Betroffene verspüren ein extremes Verlangen zu essen und können nicht von selbst aufhören: „Wie kann dieser durch einen Belohnungsimpuls gesteuerte Prozess aber gestoppt werden, bevor es zu einer Eskalation kommt? Wichtig ist es, den Auslöser zu erkennen, um therapeutische Strategien entwickeln zu können, die genau in diesen kritischen Momenten wirken.“
Dazu geht Prof. Kroemer im Labor Verhaltensmustern auf den Grund und misst Gehirnsignale im MRT. So untersuchte er im Rahmen seines DFG-geförderten Forschungsstipendium 2014 bis 2015 an der Yale University in den USA im MRT, wie die Hirnareale reagieren und untereinander kommunizieren, wenn in der Röhre ein Milchshake mit Strohhalm getrunken wird. Zudem testet er die Motivation – ausgelöst durch verschiedene Bilder von Nahrungsmitteln – per Drucksensor. Je größer das Verlangen nach einem Eis, Käsebrötchen oder Salat ist, desto höher springt der Ball auf dem Computerbildschirm, der die Stärke des Drucks auf dem Sensor abbildet. „Wir gehen aber auch aus dem Labor heraus, um mit einer App das Entscheidungsverhalten in typischen Situationen im Alltag messen zu können“, sagt Prof. Kroemer. Vor Aufgaben in der App wird die Stimmung abgefragt, ob man hungrig ist oder gerade eine Essattacke hatte. Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren und markanten Unterschieden im Entscheidungsverhalten könnten dabei helfen, in Zukunft kritische Situationen bei Betroffenen zu identifizieren.
Über Hirnsignale Entscheidungen und Verhaltensmuster vorhersagen
„Bei dem Mechanismus von Essanfällen stehen wir aber noch am Anfang“, sagt Prof. Kroemer, der in der Vagusnerv-Stimulation eine Option sieht, körpereigene Steuermechanismen auszunutzen und beispielsweise so ein Sättigungs- oder ein stärkeres Belohnungsgefühl herzustellen. Prof. Kroemer, Freizeitkoch und Vater eines dreijährigen Sohnes, ist ein gesundes Verhältnis zum Essen wichtig: „Wir unterstützen, um eine natürliche Kontrolle wiederherzustellen. Verbote sind dabei nicht gut und sich mal etwas zu gönnen, bedeutet nicht gleich ein Kontrollverlust.“
Vor seinem Ruf an die Medizinische Fakultät in Bonn leitete Prof. Kroemer seit 2017 die Nachwuchsgruppe für neurowissenschaftliche Grundlagen von Motivation, Handlungen und Verlangen an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Tübingen. Eine Arbeit von Kroemers Nachwuchsgruppe, die das Potenzial der Vagusnerv-Stimulation zur Steigerung der Motivation erstmals gezeigt hat, wurde im Jahr 2021 mit einem Publikationspreis der Biologischen und Neuropsychologischen Sektionen der Deutschen Psychologischen Gesellschaft ausgezeichnet. Zuvor war Kroemer als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und dem Neuroimaging Center an der TU Dresden tätig, wo er die Raucherambulanz organisatorisch leitete und für seine Promotion zur Regulation von Essensbelohnungen ausgezeichnet wurde.
Bildmaterial:
Pressekontakt: Dr. Verena Henn Stellv. Pressesprecherin Stabsstelle Kommunikation und Medien am Universitätsklinikum Bonn Tel.: 0228 287-19891 E-Mail: verena.henn@ukbonn.de
Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB werden pro Jahr über 400.000 Patient*innen betreut, es sind 8.300 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,3 Mrd. Euro. Neben den über 3.300 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr rund 600 junge Menschen in anderen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht im Wissenschafts-Ranking auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW, weist den vierthöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf und hatte 2020 als einziges der 35 deutschen Universitätsklinika einen Leistungszuwachs und die einzige positive Jahresbilanz aller Universitätsklinika in NRW.