Studie der Universitäten Oxford und Bonn: Schlafendes Gehirn nutzt Triple-Metronom, um zu lernen
Mechanismus ermöglicht es Hirnzellen, gemeinsam zu feuern, zeigt Studie der Universitäten Oxford und Bonn
Im Schlaf verfestigen sich die Erinnerungen an das, was wir tagsüber erlebt haben: Sie werden aus einem temporären Speicher ins Langzeitgedächtnis verfrachtet. Damit das klappt, müssen sich Neuronen in verschiedenen Teilen des Gehirns synchronisieren. Dazu nutzt unser Denkorgan eine Art „Super-Metronom“ aus drei verschiedenen Taktgebern. Wie diese zusammenarbeiten, zeigt eine aktuelle Studie der Universitäten Oxford und Bonn. Die Ergebnisse sind nun in der Zeitschrift Nature Neuroscience erschienen.
Mal angenommen, Sie spielen ein Instrument in einem großen Orchester: Um immer synchron zu den anderen Musikerinnen und Musikern zu bleiben, benötigen Sie einen Taktgeber. Diese Rolle übernimmt die Dirigentin: Sie gibt den rhythmischen Rahmen vor. Es reicht, wenn sie das relativ grob macht – die Sechzehntelnoten bekommen Sie dann selber so genau hin, dass sie im Gleichklang mit den anderen Instrumenten erklingen.
Im Gehirn gibt es einen ganz ähnlichen Mechanismus. Allerdings schwingen hier gleich drei Dirigenten den Taktstock, und zwar sehr unterschiedlich schnell. Zusammen bilden sie eine Art „Super-Metronom“, das die Neuronen auf wenige hundertstel Sekunden genau synchronisiert.
„Damit das klappt, gibt es unter den Taktgebern eine Hierarchie“, erklärt Prof. Dr. Dr. Florian Mormann von der Abteilung für Epileptologie am Universitätsklinikum Bonn. „Sie geben einander gewissermaßen rhythmische Leitplanken vor: Der langsame Taktgeber entscheidet, zu welchen Zeiten der schnellere Taktgeber loslegt. Und der wiederum bestimmt den Einsatz des schnellsten Taktgebers.“ Im Ergebnis sorgt das dafür, dass verschiedene Nervenzellen exakt zur selben Zeit feuern.
Gemeinsames Feuern stärkt die Verbindung
Warum aber ist das wichtig? Der kanadische Psychologe Donald Hebb hat bereits vor mehr als 70 Jahren einen wichtigen Zusammenhang erkannt: Wenn zwei Neurone gleichzeitig aktiv sind, stärkt das die Verbindung zwischen ihnen, die sogenannte Synapse. Im Englischen wird dieses Hebbsche Gesetz oft auf die griffige Formel „Neurons that fire together wire together“ („Neuronen, die zusammen feuern, werden miteinander verdrahtet“) gebracht.
Dieser Mechanismus gilt als Grundlage des Lernens. Man vermutet, dass er auch bei einem Prozess eine wichtige Rolle spielt, der sich Gedächtnis-Konsolidierung nennt. Das, was wir tagsüber erleben, wird in einer Hirnstruktur im Bereich der Schläfen zwischengespeichert – dem Hippocampus. Nachts wird dort aufgeräumt und Platz für den nächsten Tag geschaffen. Dazu werden die Erinnerungen in die Großhirnrinde verfrachtet, den Sitz des Langzeitgedächtnisses.„Damit das funktioniert, müssen sich verschiedene Bereiche des Gehirns so synchronisieren, dass die Neuronen in ihnen gleichzeitig feuern“, sagt Prof. Dr. Bernhard Staresina von der Universität Oxford.
Zeitfenster von wenigen hundertstel Sekunden
Gleichzeitig bedeutet: Sie dürfen maximal in einem Abstand von vier hundertstel Sekunden aktiv werden. Und dafür spielen die drei Taktgeber offensichtlich eine zentrale Rolle. Bislang war dieser Mechanismus nur eine Hypothese. „Wir haben nun erstmals nachweisen können, dass diese drei Rhythmen aneinander gekoppelt sind und zusammen die Aktivität der Neurone koordinieren“, erklärt Staresina.
Die Forschenden profitierten dabei von einer Besonderheit der Bonner Universitätsklinik für Epileptologie: Sie ist auf chirurgische Eingriffe im Gehirn von Epilepsiekranken spezialisiert. Bei manchen Betroffenen setzen die Ärzte den Patientinnen und Patienten mehrere Elektroden ein, um den Krampfherd zu bestimmen. „Nebenbei können wir darüber die Aktivität einzelner Neuronen messen, in diesem Fall im Hippocampus“, sagt Florian Mormann.
Beim Schlafen schwingen sich weite Hirnbereiche auf einen Grundrhythmus ein, die langsamen Oszillationen. In diesem Zustand werden die Nervenzellen etwa einmal pro Sekunde in eine erhöhte Feuerbereitschaft versetzt. Exakt zu diesen Zeitpunkten lassen sich im EEG (also in Aufzeichnungen der Hirnströme) oft Muster identifizieren, die etwa zehnmal schneller schwingen – die Schlaf-Spindeln. Diese Spindeln wiederum regen die Erzeugung sogenannter „Ripple“ an, die wiederum zehnmal schneller sind. „Und diese Ripple koordinieren offensichtlich, dass die Nervenzellen im Gehirn synchron feuern“, erklärt Bernhard Staresina.
Die Ergebnisse erlauben einen wichtigen Einblick in die Art und Weise, in der das Gehirn Erinnerungen abspeichert. Möglicherweise erlauben sie in Zukunft auch Rückschlüsse auf die Entstehung bestimmter Formen von Gedächtnisstörungen.
Beteiligte Institutionen und Förderung:
An der Arbeit war neben dem Universitätsklinikum Bonn und der Universität Oxford die Hebräische Universität von Jerusalem beteiligt. Die Studie wurde durch einen ERC-Grant der Europäischen Union, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie das iBehave-Forschungsnetzwerk des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. Prof. Mormann gehört dem Sonderforschungsbereich 1089 „Funktion synaptischer Mikronetzwerke und deren Störungen bei Erkrankungen des Zentralnervensystems“ an.
Publikation:
Bernhard P. Staresina, Johannes Niediek, Valeri Borger, Rainer Surges, Florian Mormann: How coupled slow oscillations, spindles and ripples coordinate neuronal processing and communication during human sleep; Nature Neuroscience; DOI: 10.1038/s41593-023-01381-w
Kontakt für die Medien:
Prof. Dr. Dr. Florian Mormann
Klinik für Epileptologie
Universitätsklinikum Bonn
Tel.: 0228/28715738
E-Mail: florian.mormann@ukbonn.de
Prof. Dr. Bernhard Staresina
Department of Experimental Psychology
University of Oxford
E-Mail: bernhard.staresina@psy.ox.ac.uk
Bilder:
Der Abdruck im Zusammenhang mit der Nachricht ist kostenlos, dabei ist der angegebene Bildautor zu nennen.
Mit ultrafeinen Elektroden, die in den Schläfenlappen Epilepsiekranker implantiert werden, können die Forscher die Aktivität von Hirnregionen sichtbar machen.
Foto: Christian Burkert / Volkswagen-Stiftung / Universität Bonn https://cams.ukb.uni-bonn.de/presse/pm-127-2023/images/86507_Lichtenberg_Mormann_Burkert_065_lowres.jpg
An den Hirnstromkurven lässt sich ablesen, wann die Neuronen feuern.
Foto: Christian Burkert / Volkswagen-Stiftung / Universität Bonn https://cams.ukb.uni-bonn.de/presse/pm-127-2023/images/86507_Lichtenberg_Mormann_Burkert_061_lowres.jpg
Für die Studie wurde die Hirnaktivität von zehn Versuchspersonen im Schlaf ausgewertet.
Foto: Christian Burkert / Volkswagen-Stiftung / Universität Bonn https://cams.ukb.uni-bonn.de/presse/pm-127-2023/images/86507_Lichtenberg_Mormann_Burkert_048_lowres.jpg
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