Wie verändert sich das Gehirn durch Lernen?
Forschende der Uni Bonn erschließen mit DataJoint riesige Datenmengen aus einem einfachen Experiment
Neurowissenschaften untersuchen, was bei Lernprozessen im Gehirn abläuft. Doch selbst bei einfachen Experimenten entstehen Daten-Gebirge, die viel Expertise im Datenmanagement brauchen, um mit modernsten Methoden ausgewertet und verglichen zu werden. Forschungsgruppen des Sonderforschungsbereichs 1089 “Synaptische Mikronetzwerke in Gesundheit und Krankheit” der Universität Bonn haben nun mit der Firma DataJoint in Houston (USA) eine Kooperation geschlossen. Die Forschenden versprechen sich aus der so vereinten Expertise von Neuro- und Datenwissenschaft neue Erkenntnisse.
Das Beispiel für “Klassische Konditionierung” ist aus dem Biologie-Schulbuch bekannt: Ein Luftzug am Auge führt dazu, dass das Lid sich schließt. Erklingt gleichzeitig mit dem Luftstoß ein akkustisches Signal, führt das zur Verknüpfung der Reize. Nach mehreren Wiederholungen reicht der Ton allein aus, damit das Lid sich schließt. “Das ist eine sehr einfache Form des Lernens”, sagt Prof. Dr. Tobias Rose vom Institut für Experimentelle Epileptologie und Kognitionswissenschaften am Universitätsklinikum Bonn. Was bei diesem Lernprozess im Gehirn passiert, liegt jedoch noch weitgehend im Dunkeln.
“So einfach das Experiment anmutet, so komplex ist das Zusammenspiel der beteiligten Gehirnregionen”, sagt Prof. Dr. Tatjana Tchumatschenko vom Institut für Experimentelle Epileptologie und Kognitionswissenschaften. Die Expertin für computergestützte Neurowissenschaften und Verhalten möchte zusammen mit Prof. Rose untersuchen, zu welchen Veränderungen es bei der klassischen Konditionierung in den Arealen des Gehirns kommt.
Die Teams sind auf Hirnareale spezialisiert
Das Projekt ist im Sonderforschungsbereich 1089 “Synaptische Mikronetzwerke in Gesundheit und Krankheit” angesiedelt, der auch zu den Mitgliedern des Transdisziplinären Forschungsbereichs “Life & Health” an der Universität Bonn zählt. Insgesamt fünf Teams der Universität Bonn und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) spezialisieren sich jeweils auf verschiedene Hirnareale und arbeiten in dem Vorhaben zusammen.
“Die große Herausforderung ist, dass die in den verschiedenen Teams angesiedelten Experimente standardisiert durchgeführt werden müssen, damit sich die Daten später vergleichen und reproduzieren lassen”, sagt Rose. Die Forschenden untersuchen das Geschehen im Gehirn von Mäusen, die von Kameras überwacht werden. Dort wird der Luftzug über ein kleines Röhrchen Richtung Augen der Nager verabreicht. In variablen Abständen hierzu leuchtet ein kleines Lämpchen auf oder es wird ein Tonreiz gegeben.
Aktive Nervenzellen leuchten auf
Was im Gehirn der Mäuse geschieht, zeichnet unter anderem ein Multiphotonenmikroskop auf. “Damit lässt sich gleichzeitig die Aktivität von hunderten oder tausenden Nervenzellen erfassen”, sagt Tchumatschenko. Die zuvor an einen Farbstoff gekoppelten Gehirnzellen leuchten auf, wenn sie in Erregung versetzt werden. Das Forschungsteam rekonstruiert aus diesen Daten das Zusammenspiel der beteiligten Nervenzellen und Regionen im Gehirn.
Dabei setzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf externe Hilfe. Sie haben mit der Firma DataJoint in Houston (USA) einen Kooperationsvertrag geschlossen. Die Experten des von Neuroforschenden und Datenwissenschaftlern gegründeten Unternehmens helfen bei der Datenaufbereitung und -verarbeitung, um mittels maßgeschneiderter Datenbanklösungen zu möglichst vergleichbaren Ergebnissen zu kommen.
„Dies ist eine wachsende Herausforderung in der Hirnforschung, in der sich unser Unternehmen auszeichnet“, sagt Dr. Dimitri Yatsenko, CEO von DataJoint. „Wir arbeiten mit führenden Forschungsteams zusammen, um die Datenerfassung, -analyse und -visualisierung in neurowissenschaftlichen Experimenten zu standardisieren und zu automatisieren.“ Durch die Zusammenarbeit mit dem Forschungsteam der Universität Bonn wird DataJoint neue Lösungen für die kombinierte Analyse von Verhaltens- und neurophysiologischen Signalen entwickeln und verbreiten, um Untersuchungen darüber zu unterstützen, wie das Nervensystem Informationen verarbeitet und Verhaltensweisen hervorruft.
“Das Gehirn ist ein äußerst komplexes Organ”, sagt der Sprecher des Sonderforschungsbereichs Prof. Dr. Heinz Beck. Die Neurowissenschaften schließen sich deshalb zunehmend zu großen Verbünden zusammen, um mit vereinten Kräften und einer einheitlichen Basis die grundlegenden Prozesse der kooperierenden Nervenzellen zu entschlüsseln. “Die zukunftsweisende Strategie in den Neurowissenschaften ist, diese Datenfülle mit modernsten Methoden des maschinellen Lernens auszuwerten und mit anderen Datensätzen zu vergleichen.”
Informationen:
https://eecr-bonn.de/rose-group
https://www.datajoint.com/news/bonn-university-project
Kontakt für die Medien: Prof. Dr. Tobias Rose Institut für Experimentelle Epileptologie und Kognitionswissenschaften Forschungsgruppe “Circuit Mechanisms of Behaviour” Universitätsklinikum Bonn Tel. +49-(0)228/6885332 E-Mail: tobias.rose@ukbonn.de
Bild oben: Zellen des Kortex, aufgenommen mit einem Multiphotonenmikroskop. Blau aufleuchtende Zellen sind aktiv.
Bildnachweis: Tobias Rose/Uni Bonn
Der Abdruck im Zusammenhang mit der Nachricht ist kostenlos, dabei ist der angegebene Bildautor zu nennen. https://cams.ukb.uni-bonn.de/presse/pm-280-2021/images/Rose.jpg